FLENSBURG ALS GRENZSTADT ZU DÄNEMARK:
"Musikalische Einflüsse und Aktivitäten aus dem Nachbarland"
Wenn ich in meiner Einleitung zur Vorgeschichte des Jazz Club Flensburg über die allgemeine Situation auf dem Gebiet des Jazz in Deutschland nach 1945 eingehe, so habe ich bewußt darauf verzichtet, auf die Situation Flensburgs als Grenzstadt zu Dänemark hinzuweisen.
Dies bedarf einer etwas ausführlicheren Erörterung, denn ein großes Maß an Aktivitäten mit bedeutsamen Auswirkungen sind dem "Sydslesvig Forening" (Südschleswiger Verein) sowie dänischen Medien zu verdanken.
Zunächst muß daran erinnert werden, daß sich an einer Landesgrenze die jeweiligen Radio-Sender fast überschneiden, d.h. sie sind zumindest gleich gut zu hören. Bekanntlich hat gerade Flensburg eine sehr große "Dänische Minderheit", und so wurde in vielen Haushalten der dänische Rundfunk (Danmarks Radio) gehört.
Der Aufbau der dänischen Sendungen war von jeher anders als die Programme des nach dem Kriege im Norden Deutschlands vorherrschenden Senders NWDR, Hamburg.
Nur gegen Mitternacht wurde es am Wochende für einige Stunden mal für junge Leute interessanter, wenn Teddy Paris die Zuhörer in seinem "Saturday Night Club" durch die Sendung führte.
Ganz andere Töne kamen da schon von unseren Nachbarn aus dem Norden! Dort gab es immer ein buntes Allerlei. Man scheute sich nicht, in einer Musiksendung Klassik und Unterhaltung, bis hin zum Jazz, zu vermischen.
Aus Kostengründen wurden aus diversen Clubs und Tanzpalästen Live-Übertragungen gesendet, bei denen die besten dänischen Gruppen spielten.
Unvergessen bleiben das Svend Asmussen Quintett oder das "Malihini Kvartetten" mit Jörn Grauengaard sowie diversen guten Sängerinnen, um nur einige zu nennen. Immer war es swingende, tanzbare Musik - oft amerikanische Schlager der 30er und 40er Jahre, die sog. Jazz-Standards.
Und dann kamen die ersten richtigen Jazz-Sendungen mit Börge Roger Henrichsen! ("Natekspressen" - "Jazzmosaik" usw.) Er legte immer die neuesten Platten auf, von denen man in Deutschland oft noch nichts gehört hatte.
In der deutschen Nachkriegs-Jazz-Geschichte wird oft vom AFN und BFN berichtet. Auch ich habe diese amerikanischen und britischen Sender bereits zitiert, weil sie - im Gegensatz zu den deutschen Funkhäusern - Jazz oder "Jazziges" auflegten. Gern habe ich diese Sender schon als 10jähriger gehört, falls man sie denn gut in Flensburg empfangen konnte.... Ganz anders bei Danmarks Radio: dort konnte man reichlich Jazz hören - und der Empfang war bestens!
Wer sich in Flensburg für moderne Tanzmusik und Jazz interessierte, freute sich schon, wenn in einem der Kinos die damals aufkommenden US-Musikfilme gezeigt wurden, wo - wie z.B. in Esther Williams-Filmen - mal eine bekannte US-Big Band spielte.
Musiker, die nach Ende des Krieges in Flensburg hängengeblieben waren, versuchten möglichst schnell wieder in die größeren Städte wie Hamburg, Frankfurt und Köln zu kommen, da es dort zumindest angehendes Nachtleben gab oder Rundfunkstationen, die bald Jobs zu vergeben hatten.
An internationalen Jazz-Größen kam auch kaum jemand nach Flensburg. Da hatte es die Landeshauptstadt Kiel schon bedeutend besser. Als 1953 Stan Kenton mit seinem Orchester und der Sängerin June Christy in der Kieler Ostseehalle auftrat, hätte man vor Neid erblassen können. Aber wer hatte damals schon das Geld, dorthin zu fahren. Aus Flensburg waren es nur sehr wenige wahre Jazzfans!
Als einziger Höhepunkt mit internationaler Besetzung in den 50er Jahren kann das LIONEL HAMPTON KONZERT im Deutschen Haus am 26.12.1957 erwähnt werden.
Ansonsten machten die deutschen Veranstalter von Jazz-Konzerten einen großen Bogen um Flensburg.
Als der Jazz Club Flensburg (JCF) kurz vor seiner Auflösung Mitglied der deutschen Jazzföderation wurde, hätte die Möglichkeit bestanden, zumindest die damaligen deutschen Jazzgrößen zu Konzerten nach Flensburg zu holen. Finanziell wagte niemand das Risiko auf sich zu nehmen, und Sponsoren gab es zu der Zeit noch nicht! Eine Unterstützung von Seiten der Stadt? Gab es nicht (...doch nicht für Jazz!)
Doch später in den 60er Jahren folgten bessere Zeiten!
Dank des bereits erwähnten "Sydslesvig Forening" (Südschleswiger Verein), der sich auf vielen kulturellen Gebieten in der Region hervortat, kam es zu einer Reihe von fantastischen Jazz-Konzerten.
In Kopenhagen bei "Danmarks Radio" (DR) hatte sich einiges getan: Der über die Grenzen hinaus bekannte Jazz-Bassist ERIK MOSEHOLM (u.a. zum Musiker des Jahres 1958 gewählt) hatte zusammen mit Börge Roger Henrichsen seine Idee beim Sender durchgesetzt, eine Art "Jazz Workshop" zu etablieren, zu dem rund 10 - 12 der besten dänischen Musiker und Arrangeure verpflichtet wurden.
"Jazz Workshops" gab es bereits an anderen Sendern, wie z.B. beim NDR in Hamburg unter der langjährigen Leitung von Hans Gertberg. Im Gegensatz zum NDR verpflichtete Danmarks Radio die Musiker nicht für ein spezielles Thema und ein dafür bestimmtes Konzert, sondern die Musiker wurden zu einer festen Institution, die sich "RADIOJAZZGRUPPEN" nannte, nicht zu verwechseln mit der ebenfalls bestehenden BIG BAND von Danmarks Radio, die damals unter der Leitung von Ib Glindemann bereits existierte!!!
Hauptziel dieser Institution war es, Musikern und Arrangeuren die Möglichkeit zu geben, in finanzieller Unabhängigkeit eigene Werke und Arrangements einstudieren zu können. Insbesondere ging es aber darum, unbekannteren Musikern ein breiteres Forum zu geben.
Kopenhagen war jahrelang das Mekka für amerikanische Jazzmusiker der Spitzenklasse und so lag es nahe, daß diese früher oder später alle einmal mit der "RADIOJAZZGRUPPEN" spielten.
Musiker wie Don Cherry, Dizzy Gillespie, Dexter Gordon, Clifford Jordan, Lee Konitz, Yusef Lateef, Ben Webster sind nur einige von vielen, deren Mitwirkung die Gruppe nachhaltig inspirierte.
Über die Entwicklung und das 27jährige Bestehen der "RADIOJAZZGRUPPEN" hat ihr Mitbegründer Erik Moseholm gerade ein sehr interessantes Buch herausgegeben. Erschienen im Elkjaeroghansen-Verlag, Kopenhagen. "DEN HEMMELIGE KRYSTALL" * -
|
In diesem Werk beschreibt Moseholm peinlich genau den Werdegang und die einzelnen Perioden unter verschiedener musikalischer Leitung und Teilnahme verschiedener Musiker. Gleichzeitig kommen Musik-Kritiker ausführlich zu Wort. Ein wahrlich gelungenes Werk, welches einem in brillanter Form Einblick in die Geschichte der "Radiojazzgruppen" gibt, dabei unterstützt durch über 200 schwarz/weiss Fotos
* (dtsch. "Der geheime Kristall")
Bisher leider nur auf DÄNISCH erschienen !!!
Bereits im vergangenen Jahr hatte ich mich mit LARS HENNINGSEN von der Dänischen Bibliothek in Flensburg getroffen, um im dortigen Fundus nach Unterlagen über die verschiedenen Konzerte dänischer und internationaler Jazz-Musiker und Orchester zu forschen, die in den vergangenen Jahrzehnten im sog. Südschleswigschen Raum Konzerte gegeben hatten. Ein Teil dieser mühseligen Arbeit bleibt mir erspart, denn in dem neuen Buch von Erik Moseholm sind die Konzerttermine der "RADIOJAZZGRUPPEN" fast alle enthalten.
So kann an dieser Stelle auch einmal festgehalten werden, welch kulturelle Leistung "Sydslesvigs Forening" im Laufe der Jahre auf dem Gebiet des Jazz erbracht hat!
"RADIOJAZZGRUPPEN"
Das erste Konzert mit "Radiojazzgruppen" fand am 13. Dezember 1966 in Flensburg statt.
Ein Riesenerfolg vor ausverkauftem Haus in "Flensborghus".
Die Zeitungen waren voller Lob! U.a. schrieb die damalige "Heimat Zeitung":
(Ausschnitt) "...es wurde ein für Flensburg aussergewöhnlicher Jazzabend....
unter der Leitung von Ray Pitts, dessen hoher Musikalität es zu verdanken ist, dass dem Zusammenspiel mit den Solisten..." usw.
oder
Flensborg Avis: (Ausschnitt, übersetzt) "Ray Pitts sagenhafte Musikalität schaffte es, die vielen "Individualisten" bestens zusammen zu halten..... ein durch und durch gelungener Abend"
Aus dieser Periode stammen die folgenden Aufnahmen, die ab sofort lieferbar sind: |
|
Die folgenden Jahre will ich nur sporadisch erwähnen, denn es folgte jedes Jahr eine Tournee durch Dänemark, wobei die Abstecher nach Südschleswig nicht vergessen wurden. Dabei gab es nicht nur in Flensburg, sondern auch in Schleswig und Husum Konzerte. Die Leitung des Orchesters hatte in den Jahren 1967 bis 1974 Palle Mikkelborg übernommen. Schon Jahre vorher war Erik Moseholm bei Danmarks Radio festangestellt worden und sorgte für die Organisation und Durchführung der Konzerte. Die musikalische Leitung wechselte in den kommenden Jahren mehrfach.
Interessant ist ein Brief von dem heute weltbekannt Pianisten JOACHIM KÜHN an Erik Moseholm vom 8. März 2001, in welchem er sich an das Flensburg-Konzert erinnert: (Ausschnitt) "......you gave me a Trioconcert in Denmark. Radiojazzgruppen played 2.Part.
After, you invited me for the Flensburgconcert, where also Dexter Gordon and Ben Webster played. This was a great experience......It`s funny, a few weeks ago I found the tape of "Paris 71" with the Radiojazzgroup in a concert in Flensburg. It sounded real good. I remember Palle playing trumpet and conducting, Alex Riel, Bo Stief and the whole group, after 30 years those musicians are sounding very fresh, modern and not dated"
Fünfzehn Jahre hatte RADIOJAZZGRUPPEN bereits existiert, als 1976 der weltberühmte Trompeter DIZZY GILLESPIE für eine Reihe von Konzerten verpflichtet wurde.
Das erste Konzert fand im Februar in Schleswig im Hotel Scandia statt. Damals schrieben die "Schleswiger Nachrichten" u.a. (Ausschnitte) "...Begeisterten Beifall spendeten die zahlreichen Zuhörer aller Jahrgänge im Saal des Hotel Scandia der dänischen RADIOJAZZGRUPPEN und dem international bekannten amerikanischen Jazztrompeter DIZZY GILLESPIE...Erst vier Stunden vor seinem Auftritt mit der Gruppe in Schleswig, traf er in Dänemark ein..."
Das nächste Konzert fand in Flensburg am 1. März 1976 im Deutschen Haus statt.
Ein Ereignis für Flensburg!
Liest man die damaligen Kritiken der Flensburger Tageszeitungen "Flensborg Avis" (dänisch) und "Flensburger Tageblatt" (deutsch), dann scheint es zwei Konzerte gegeben zu haben. "Flensborg Avis" berichtet über "Das Jazz-Erlebnis des Jahres" und beschreibt fundiert den musikalischen Ablauf des Abends. Das "Flensburger Tageblatt" (gezeichnet "gb") hörte und sah es anders: (Ausschnitte) "..."Der Strahl der hellen Fanfaren".....Nicht wenige Besucher der Jazz-Fete im Deutschen Haus schlichen vor Ende der Veranstaltung gelangweilt von dannen....Der Berichterstatter, der möglichen Gehörschäden wegen einem Teil des Konzerts von ausserhalb des Saales verfolgte, schnappte Gesprächsfetzen wie -fad, altbacken-altmodisch - auf..."
Ja, ja, - Flensburg hatte damals scheinbar ein verwöhntes Publikum.....
RADIOJAZZGRUPPEN konnte anläßlich ihres 25-jährigen Bestehens am 17. September 1986 in Husum , 18. September 1986 in Schleswig und 19. September 1986 in Flensburg Jubiläums-Konzerte durchführen.
Im folgenden Jahr wurde die Gruppe aus organisatorischen Gründen bei Danmarks Radio aufgelöst. Einige der Musiker, waren im Laufe der Zeit bereits Mitglieder von RADIOENS BIG BAND geworden und immer häufiger wurden Kompositionen von Musikern gespielt, die ihre Erfahrungen bei RADIOJAZZGRUPPEN gesammelt hatten.
paa dansk |
Klaus Lorenzen
zurück zu swinging-flensburg.de